Wie viele waren es? Weiß nicht mehr. Einer? Zwei? Gleichzeitig? Hintereinander? Sicher ist, dass Tante Käthe mindestens einen Kanarienvogel hatte. Der war quietschgelb. Und laut. So laut, dass er ihr mit seinem Tschilp-triller-hier-bin-ich mächtig auf den Wecker gegangen ist. Den meisten Leuten, die sie besuchen kamen, auch. Deswegen hat Tante Käthe ein Handtuch über seinen Käfig gelegt und ihm am helllichten Tag vorgegaukelt, es sei Nacht. Fand ich als Kind schon skurril. Ja, das Getschilpe war nervig. Aber es war doch nicht fair, den Piepmatz so zu verarschen. Viel mehr als das Singen hatte er doch nicht. Ich habe als Kind nicht verstanden, warum die Großen sich einen Vogel holen, wenn er dann nicht machen darf, was Vögel halt so machen: singen. Der abgedeckte, schweigende Käfig war ein bisschen wie Tante Käthes Sofa mit der Decke, die das Polster schonen sollte. Still waren die Erwachsenen aber nicht, wenn sie im Wohnzimmer darauf saßen.
Dass der Gefiederte im Käfig eingesperrt war, kam mir als Kind nicht komisch vor. Wahrscheinlich war es die Zeit, als wir unseren Hansi hatten. Der wohnte ja auch im Käfig. Manchmal erscheinen einem Dinge erst im Nachhinein seltsam oder nicht ganz richtig. Mir war damals klar, dass ich nie einen Kanarienvogel möchte. Hatte ich auch nicht. Heute höre ich manchmal, wenn wir sonntags durch die Stadt gehen, die ihre Geräusche runtergepegelt hat, direkt gegenüber der Boutique mit den schönen bunten Kleidern, einen Kanarienvogel tschilpen. Unverkennbar. Definitiv nicht der von Tante Käthe. Der hält schon lange den Schnabel.
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